Warum tut man sowas? Mir ist es ehrlich gesagt egal wie es den Beteiligten geht. Ich kenne sie nicht und schotte mich davon ab. Wenn ich, gerade in meinem Beruf, alles an mich heran lassen würde, so würde ich irgendwann daran kaputt gehen. Wir machen Witze über die schlimmsten Krankheiten, wo Außenstehende sagen würden, dass es geschmacklos ist. Wir machen das um dem Schlimmen den Schrecken zu nehmen. Haben jedoch immer noch den Hintergedanken, dass der Patient vielleicht sterben könnte und versuchen ihm noch ein paar schöne Momente und Spaß zu gönnen.
Ich glaube es ist nichts schlimmer als einsam zu sterben. Es ist schlimmer als das Sterben an sich. Es reicht schon, wenn man sich komplett zugesoffen hat und kotzen muss. Dann ist man... Bin ich zumindest über jeden froh, der bei mir ist. Weil ich dann nicht allein bin. Ich stell mir vor wie es wohl ist, wenn man allein im Krankenhaus in seinem Bett liegt. Allein im Zimmer und es einem wirklich beschissen geht; man weiß, dass man eventuell bald sterben wird.
Ich bin jemand, der sich auch nach dem Dienst ganz gerne die Zeit nimmt und mit seinen Patienten redet. Und ich frage mich, was aus manchen Patienten geworden ist. Meistens wenn ich die Todesanzeigen in der Zeitung lese kenne ich mindestens einen. Schon gruselig. Eben noch Dienst gehabt und mit den Leuten die bewegendsten Gespräche geführt und eine Woche später liest man dann da ihren Namen. Ich kann mich nicht an die Namen von jedem erinnern. Wäre ja auch Wahnsinn. Jedoch merk ich mir oft, wo sie lagen.
Zum Beispiel die Frau aus Zimmer 10, die im 2ten Bett lag. Ich weiß noch wie sie heißt und hab sie erst letztens gesehen. Ich kenne sie aus dem FSJ, sie war 3 mal in dem einen Jahr da. Herzfehler. Sie hat stark abgebaut und hat sich gefreut, dass ich sie auf dem Gang angesprochen habe.
Oder wie der Patient auf der Onko, der in Zimmer 2 im 3. Bett lag. Ich hatte ihn zu meiner Prüfung. Sein ganzes Leben lang war nie was. Jetzt drückt ein Tumor in der Nähe seines Herzens auf die Nerven und er hat kein Gefühl mehr in seinen Händen. Ein Jahr zuvor ist ihm ein Kribbeln aufgefallen und er dachte, wie es die Leute so oft tuen, dass es wieder aufhört. Ich wollte ihn im Pflegeheim besuchen, hatte aber keine Zeit. Sowas lässt mich nicht los. Er war etwas über 60 glaube ich.
Oder der Mann in Zimmer 10 im 1. Bett. Ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Er war sehr dickköpfig und wollte alles alleine machen. Ich weiß noch, wie es hieß, dass er für ein paar Tage zur Dialyse verlegt wird. Nierenversagen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr auf welcher Station das war, ist ja auch egal. Ich weiß noch, wie ich da an seinem Bett stand und er mir von seinem Beruf als Hochspannungselektriker erzählt hat und wie schön der Ausblick von einem Strommast ist. Das war bevor sein Zustand schlechter wurde. Ich weiß noch, wie ich ihm Suppe gereicht habe, weil er keine Kraft mehr hatte und geht scheiße drauf war. Er hat mir noch das Du angeboten und ich habe das, obwohl ich es eigentlich nicht darf, angenommen. Ich habe irgendwie gefühlt, dass er den Kampf verloren hat und wie scheiße ist es bitte, wenn man allein in seinem Bett liegt und alle einen siezen?
Ich werde nie vergessen, wie er aussah. Seine Haut richtig gelb. Wie er da lag, mich ansah und meinte:„Ich gebe euch alles, wenn ihr mich wieder gesund macht.“
Was hätte ich darauf sagen sollen? Ich glaube ich habe etwas gesagt wie:„Ich kann dir leider nichts versprechen.“ Keine Ahnung. Irgendwas in der Richtung.
Oder die Frau, die ein paar Monate lang in Zimmer 4 im ersten Bett lag. Fast blind, fett und anstrengend. Hat wegen Kleinigkeiten geklingelt, was jeden genervt hat. Sie war zwischendurch mal so gut drauf, dass sie Heim konnte. Als sie wieder kam lag sie wieder genau da. Selbes Bett, kaum was gegessen, wollte aber ab und an mal was „frisches“. Joghurt oder Pudding oder so. Und hat die ganze Zeit angedicktes Wasser bekommen.
Hab ich in der Schule selber mal probieren dürfen. Man bekommt „Multi Thick“ oder „Thick'n'up“ in jeder Apotheke für 20€. Mit Wasser ist das echt eklig, mit Saft schmeckt es wenigstens nach Kaltschale.
Sie wollte immer ihr Stofftaschentuch zum kuscheln und wollte aller paar Minuten anders gelagert werden. Ich weiß noch, wie ich früh zum Dienst kam und ihr Zimmer leer war und die Schwester nur meinte, dass sie verstorben sei. Es war extrem schlechte Stimmung auf Station, da wie die Frau trotzdem irgendwie ins Herz geschlossen haben.
Ich könnte noch stundenlang weiter schreiben, was mir so im Gedächtnis geblieben ist.
Wenn man im Krankenhaus arbeitet, dann merkt man gar nicht, wie allein sich die Patienten fühlen, wenn sie keine Zimmergenossen haben.
Erst, wenn man selber mal Patient war, weiß man wie oft wirklich jemand rein kommt.
J.D. (Scrubs) Ich glaube eine der zentralsten Empfindungen des Menschen ist das Gefühl allein zu sein. Man weiß es nicht, aber es gibt vermutlich jede Menge Leute, denen es genau so geht wie einem selbst. Vielleicht weil man sich im Stich gelassen fühlt, vielleicht weil man begreift, dass man nicht so selbstständig ist, wie man dachte, vielleicht weil man mit etwas hätte anders umgehen müssen oder vielleicht weil man nicht so gut ist, wie man geglaubt hat. Egal. Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, hat man die Wahl. Man kann entweder in Selbstmitleid baden oder etwas unternehmen. Das muss man selbst entscheiden.